Die Sufis sind bekannt für ihre leidenschaftliche Liebeslyrik und ihre bisweilen paradoxen, aber tiefgehenden Weisheiten. Hier ist eine kleine Auswahl an Zitaten. Einige davon stammen aus der wunderbaren Gedichtsammlung von Omid Safi, „Radical Love”, die hier mit Erlaubnis des Herausgebers wiedergegeben werden.
Ich war ein verborgener Schatz
und liebte es
gekannt zu werden
Also schuf ich Himmel und Erde
damit sie mich kennen¹
Hadith Qudsi und zentrales Axiom der Sufis
Ich liebe dich mit zwei Arten von Liebe:
eine ist ichbezogen
und die andere Deiner würdigEs ist die ichbezogene Liebe
mit der ich nur an Dich denke
mit jedem GedankenUnd es ist die reinste Liebe
wenn Du die Schleier lüftest
für meinen verehrenden BlickIch achte nicht auf Lob für diese oder jene
denn ich weiß
Dein ist das Lob für beide²
Rabi’a al-Adawiyya, Basra/Iraq, 8. Jh.
Wo Fragen sind
wird es Antworten geben
Wo Schiffe sind
wird Wasser fließenVerbring weniger Zeit damit
Wasser zu suchen
und vermehre den Durst!
Dann wird das Wasser
von oben und unten
herbeiströmen³
Jalaluddin Rumi, Balkh/Afghanistan, 1207-1273
Was ist der Sufiweg?
„Freude zu finden
im Inneren des Herzenswenn Traurigkeit
kommt.”⁴
Jalaluddin Rumi
Die Wunde ist es
durch die das Licht
in dich eindringt⁵
Jalaluddin Rumi
Eine Fliege saß
auf einem Strohhalm
auf einer Pfütze aus Eselspissevoller Stolz hob sie ihren Kopf:
„Ich bin die Kapitänin dieses Schiffes,
Herrin dieses Ozeans.”⁶
Jalaluddin Rumi
Lieber Freund
dein Herz ist ein polierter SpiegelDu musst den Schleier des Staubs wegwischen,
der sich darauf abgesetzt hatdenn es ist dazu bestimmt
das Licht
der göttlichen Geheimnisse
zu reflektieren⁷
Abd al-Qadir al-Jilani, Jilan/Iran, 1077/78–1166
Sie, die sich selbst kennt
kennt GottDas ist der Grund, warum Junayd sagt:
Wasser nimmt die Farbe des Gefäßes an⁸
Faqruddin ‘Iraqi, Komijan/Iran, 1213–1289
Kharaqani wurde gefragt:
„Wo siehst du Gott?”Er sagte:
„Wo immer ich mich nicht selbst sehe.”⁹
Abu’l Hassan al-Kharaqani, Khorasan/Iran, 963–1033
Ich werfe mein Ego ab
so wie eine Schlange
ihre alte Haut abwirft¹⁰
Abu’l Hassan al-Kharaqani
Aisha wurde nach der Notwendigkeit gefragt,
ein schönes Verhalten gegenüber der Menschheit zu zeigen.Sie antwortete:
Wer den Künstler liebt,
verherrlicht die Kunst¹¹
Aisha, Tochter von Abu Uthman, Nishapur/Iran, 9. o. 10. Jh.
Eine Sufifrau namens Mu’adha wurde gefragt,
wie man im Einklang mit Gottes Worten
„Vergib mit einem schönen Vergeben” leben könne.Sie antwortete:
Sei zufrieden:
Akzeptiere die Menschen,
ohne ihnen Vorwürfe zu machen¹²
Mu’adha Umm Al-Aswad, Basra/Iraq, 7.-8. Jh.
Der Sufiweg ist dieser:
Du besitzt
nichtsNichts
besitzt dich¹³
Abu Nasr al-Sarraj, Khorasan/Iran, 10. Jh.
Der Weg ist
ein lodernder Blitz
der alles
verbrennt¹⁴
Abu Bakr al-Shibli, Baghdad/Iraq, 861–946
Vertreibe leere Melancholie aus deinem Kopf
verringere deinen Stolz
und vermehre deine BedürftigkeitDeine Meisterin
ist die Liebe:Wenn du sie erreichst
sagt sie dir
mit der Zunge der Ekstase
was zu tun ist¹⁵
Shihabuddin Yahya Suhrawardi, Sohrevard/NW-Iran, 1154–1191
Ich blicke auf die Wüste
und sehe Dichich blicke aufs Meer
und sehe Dichich blicke auf Berge, Täler und Ebenen
und sehe nichts als die Zeichen
Deiner atemberaubenden Gestalt¹⁶
Baba Taher, Hamadan/NW-Iran, 11. Jh.
Dein Licht ist in allen Formen
Deine Liebe in allen Wesen¹⁷
Hazrat Inayat Khan, Baroda/Indien, 1882–1927
Wenn du mit dem Rücken
zur Sonne stehstist dein Schatten vor dir
aber wenn du dich umdrehst
und der Sonne gegenüberstehstfällt dein Schatten hinter dich¹⁸
Hazrat Inayat Khan, Baroda/Indien, 1882–1927
Wenn du Mich nicht
hinter jedem Paar von Gegensätzen
mit einer einzigen Vision siehsterkennst du Mich nicht¹⁹
Muhammad ibn Abd al-Jabbar al-Niffari, Niffar/Iraq, 10. Jh.
„Oh Mensch
wüsstest du nur
dass du frei bist!Dass du das nicht weißt
darin besteht dein Gefängnis.“²⁰
Vilayat Inayat Khan, London, 1916–2004
Der Augenblick
ist ein schneidendes Schwertdenn es ist
die Charakteristik eines Schwertes
zu schneidenDer Augenblick
zertrennt die Wurzel
der Zukunft und der Vergangenheitund tilgt
die Sorge
um das Gestern oder Morgen
aus dem Herzen²¹
Ali ibn Uthman al-Hujwiri, Ghazni/Afghanistan, 1009–1072
Abu Sa’id al-Kharraz wurde gefragt:
„Wodurch hast du Gott erkannt?“„Durch die Tatsache
dass Er Gegensätze
miteinander vereint.“²²
Abu Sa’id al-Kharraz, Baghdad/Iraq, 9. Jh.
Übersetzung aus dem Englischen: Ingrid Dengg
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¹ Khan, Vilayat Inayat 2003: In Search of the Hidden Treasure, Tarcher/Putnam, New York, S. 13.
² Al-Kalabadhi, Abu Bakr 2006: The Doctrin of the Sufis, transl. from the Arabic by Arther Johan Arberry, Kitab Bhavan, Delhi, S. 101.
Abu Bakr al-Kalabadhi nennt “einen der Sufis” als Autor dieses Gedichts, Abu Talib al-Makki schreibt es Rabi’a al-Adawiyya zu.
³ Jaffray, Angela: Watered with One Water – Ibn ‘Arabi on the One and the Many. Quelle >
⁴ Safi, Omid 2018: Radical Love, Yale University Press, New Haven and London 2018, S. 90.
⁵ Safi 2018, S. 222.
⁶ Safi 2018, S. 255.
⁷ al-Jilani, Abd al-Qadir 1992: The Secret of Secrets, interpreted by Shaykh Tosun Bayrak al-Jerrahi al-Halveti, The Islamic Texts Society, S. XLVII.
⁸ Safi 2018, S. 77.
⁹ Safi 2018, S. 64.
¹⁰ Safi 2018, S. 135.
¹¹ Safi 2018, S. 250.
¹² Safi 2018, S. 248.
¹³ Safi 2018, S. 89.
¹⁴ Safi 2018, S. 92.
¹⁵ Thackston, Wheeler 1999: Shihabuddin Yahya Suhrawardi. The Philosophical Allegories and Mystical Treatises. Mazda Publishers, Costa Mesa, S. 71.
¹⁶ Allen, Edward Heron et. al.: The Divan of Baba Taher. Mashhad/Iran. Introduction.
¹⁷ Khan, Hazrat Inayat 2005: The Complete Sayings. Omega Publications, New Lebanon, S. 55.
¹⁸ Khan 2005, S. 227.
¹⁹ Arberry, Arthur John 1935: The Mawaqif and Mukhatabat of Muhammad Ibn ‚Abdi ‚L-Jabbar Al-Niffari, University Press, Cambridge, S. 55.
²⁰ Pir Vilayat hat dieses Zitat oft verwendet. Die Version hier stammt aus einem Gespräch mit Jeffrey Mishlove. Quelle >
²¹ Nicholson, Reynold A. 1999: Revelation of the Mystery. Al-Hujwiri. Pir Publications, New York, S. 369.
²² Chittick, William 1989: Sufi Path of Knowledge: Ibn Arabi’s Metaphysics of Imagination. Suni Press, New York, S. 115.